Spiegelanamorphose
Die geheime Welt der Achsspiegelung in der mittelalterlichen Kunst Grundlagen einer revolutionären Dimension der Bildanalyse
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Codierte antiklerikale Weltanschauungen in den Werken der frühen europäischen Malerei und Grafik
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Einführung
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Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim 1486 -1535
Zitat aus den Magischen Werken ... So werden hohle, wie auch säulenförmige Spiegel verfertigt, welche in einer gewissen Enfernung die Bilder der Gegenstände in der Luft gleich Schattengestalten erscheinen lassen. Anleitung zur Verfertigung solcher Spiegel geben Apollonius und Vitellius in ihren Schriften von der Perspektive und den Spiegeln.
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Pieter Bruegel (1525 – 1569) Ausschnitt aus den 7 Todsünden
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Die naheliegenden Lösungen haben offenbar den sichersten Platz gefunden vor der Erkenntnisfähigkeit unserer menschlichen Intelligenz. In einem Buch über unglaubliche optische Illusionen (Al Seckel Tosa - Verlag, 2003), stieß ich auf die Verwendung von geometrischen Spiegelkörpern (Zylinder, Kegel und Pyramiden) zur Realisierung raffinierter Bilddefekte, diese Technik war bis ca. 1900 Allgemeingut. Nur das Kaleidoskop aus unserer Kinderzeit scheint in der breiten Öffentlichkeit überlebt zu haben. Versuche mit einem Spiegelzylinder führten zwar zu interessanten grafischen Effekten, aber den entscheidenden Anstoß fand ich in der Zeichnung Stolz, aus der Folge von den sieben Todsünden von Pieter Bruegel. Hier tummelt sich die bizarre und äußerst ausdrucksvolle, surreale Traumwelt der mittelalterlichen Kunst vor einem einfachen rechteckigen Wandspiegel, der nahezu in jedem Haushalt, in jeder Verkaufsstelle, in jeder Damenhandtasche und in jeder feudalen Schloßgalerie seinen Platz gefunden - Den unvergleichlichen Siegeszug der kubischen Weltanschauung aufs anschaulichste dokumentierend. Das einfache Überziehen mit einem rahmenlosen Spiegel (vergleichbar mit dem Vorgang des Scannens) läßt an der Schnittfläche zwischen Bild und Spiegel einen völlig anderen Bildinhalt entstehen, der z. T. alle Dimensionen unserer Vorstellungskraft in Bezug auf dieses Bild außer Kraft setzt. Es läßt sich kaum mit Worten beschreiben, was dieses einfache Zusammenführen von Bild und Spiegel für eine Bilderwelt eröffnet. Der Spiegel steht senkrecht auf dem Bild, entweder mit der Spiegelfläche nach links oder rechts und kann von Bildrand zur Bildrand gezogen werden, aber auch die Diagonalen bieten Möglichkeiten für eine nahezu endlose " Bildbetrachtung ". Jede zufällige Struktur fügt sich mit ihrem Spiegelbild in der Ebene des Bildes zu einer ästhetischen symmetrischen Struktur, die sofort zu verstehen ist und auch in der modernen Kunst ohne Quellenangabe als eine nicht zu überschätzende Grundinspirationsquelle dingfest gemacht werden kann, z.b. im Surrealismus, im magischen Realismus und nicht zuletzt in den immer mehr verflachenden abstrakten Gestaltungen. Die Künstler des Mittelalters benutzten unverdächtige religiöse Themen, um die unterschiedlichsten Bildinhalte und Weltanschauungen zu dokumentieren. Besonders auffällig sind der sexuelle Aspekt und ein schier grenzenloser Hohn und Spott über die zentralen christlichen Denk - und Glaubensdogmen, auch die herrschenden Kasten werden aus ihrer oberflächlichen Eleganz gestoßen. Besonders interessant ist auch der Aspekt der äußerst ausgefeilten abstrakten Ausdrucksmöglichkeiten, die in der modernen Kunst in epochalen Werken Verwendung fanden. Die Bilder wurden offensichtlich zumindest streifenweise konstruiert und der oberflächliche Bildinhalt z. T. in grotesker Weise eingefügt. Für den nichtsahnenden Betrachter des offenen Bildes bleiben diese Dimensionen völlig verborgen, allenfalls fremd oder absurd erscheinende Inhalte und Segmente lassen mitunter innehalten und vermitteln den Eindruck irgend etwas nicht zu verstehen. Wir lösen in der Regel dieses Problem mit einem Hinweis auf eine substantielle Unkenntnis der Zentralperspektive und uns fremd gewordene Lebensauffassungen und Sichtweisen. Die explosiven subversiven Dimensionen dieser Bilder rufen in uns bestenfalls eine ahnungsvolle Unsicherheit hervor. Der gezielte Griff zum Spiegel klärt dieses Mißverständnis grundsätzlich. Allerdings ist auch hier ein wenig Ruhe, Konzentration und nicht zuletzt Übung von nöten. Besonders überraschend sind ungewöhnliche Farbkombinationen, starke Lichtunterschiede und die gewohnte Perspektive verlassenden Kompositionen. Auch die Grafik in allen Spielarten ist äußerst anregend.
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Verstecktes Bild als Wendebild - Italienische Schule, 17 Jhd. |
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Einfache Technik der Spiegelanamorphose ein Bild und ein Spiegel
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